Wer für die sogenannte Verkehrssicherung zu sorgen hat, sollte sich besser nicht starr auf allgemeine Richtgrößen verlassen, sondern lieber auf „Nummer sicher“ gehen. Der folgende Fall des Oberlandesgerichts Zweibrücken (OLG) zeigt auf, wie wichtig es ist, den oft zitierten Einzelfall zu betrachten und sich in das Alltagsverhalten der Passanten hineinzuversetzen. Denn wer nicht mit Stolperfallen rechnen kann, hat im Ernstfall Schadensersatzansprüche.
Eine Frau wollte in einem Einkaufscenter mit ihrem Ehemann einkaufen. Beim Verlassen des Centers stürzte sie auf dem Weg zu den Parkplätzen. Sie behauptete, im Eingangsbereich habe sich eine Abdeckung für ein Stromkabel befunden, das einen Imbisswagen mit Strom versorgt habe. Die Gummiabdeckung habe sich an einer Stelle gelöst und wie eine Schlaufe nach oben gestanden. In diese Schlaufe sei sie hineingetreten und daraufhin gestürzt. Sie erlitt eine komplizierte Ellenbogenluxationsfraktur am rechten Arm und verlangte nun Schmerzensgeld sowie den Ersatz ihrer Schäden. Die Betreiberin des Einkaufscenters hingegen behauptete, dass sich im Eingangsbereich kein Stromkabel, sondern lediglich die Abdichtung einer Dehnungsfuge befunden habe, die sich an einer Stelle minimal gelöst habe. Die Frau habe die Abdeckung erkennen müssen, weil sich diese sehr stark vom Bodenbelag unterschieden habe.
Das sah das OLG anders, so dass es der Frau ein Schmerzensgeld von 17.500 EUR zusprach. Zwar sind nach aktueller Rechtsprechung plötzliche Niveauunterschiede des Bodenbelags bzw. Abbruchkanten im Bodenbelag von zwei bis drei Zentimetern im Regelfall hinzunehmen. Jedoch handelt es sich dabei nicht um eine starre und unverrückbare Grenze, sondern vielmehr um eine Richtgröße, die im Einzelfall anhand der besonderen Umstände des Streitfalls zu überprüfen und anzupassen ist. Hier konnte die Frau auf dem Zugangsweg zum und vom Einkaufsmarkt allerdings nicht mit erheblichen Stolperfallen rechnen.
Hinweis: Unternehmer haben bestimmte Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Das gilt eben nicht nur gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sondern auch gegenüber Besucherinnen und Besuchern. Gefährdungsbeurteilungen sollten permanent vorgenommen werden.
Quelle: OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.01.2022 – 1 U 209/20